Lesetipps

@Roger Frei, Zürich

 Buchtipps

 

Barbara Kingsolver, Demon Copperhead, dtv 2024

Ein überwältigender Roman!

Barbar Kingsolver hat Charles Dickens «David Copperfield» ins 21. Jahrhundert katapultiert. Im Virginia der 90er und Nullerjahre kämpft sich Demon Copperfield durch sein armseliges Leben, immer auf der Jagd nach ein bisschen Zuneigung und Glück. Geboren in einem Trailer von einer minderjährigen, drogensüchtigen Mutter, der Vater bereits vor seiner Geburt verstorben, hat er von Beginn weg ein hartes Leben. Kingsolvers leidenschaftliche Kritik an Armut und ihre verheerenden Folgen, vor allem für die Kinder, geht unter die Haut. Die Geschichte ist so fesselnd erzählt, sprachgewaltig und eindringlich, dass man die über 800 Seiten liest wie in einem Rausch.

Auch wenn das Jahr 2024 noch jung ist: «Demon Copperhead» ist sicherlich einer der Höhepunkte der diesjährigen Neuerscheinungen!

Nicole Marquis

 
 

 

Ulla Scheler, Acht Wölfe, Heyne 2023

Spannung um Emotionen von der ersten bis zur letzten Seite

Acht junge Menschen unternehmen zusammen einen Abenteuer-Trip in der kanadischen Wildnis. Zusammen mit einem Guide wollen sie drei Wochen lang trekken. Doch als sie nach einigen Tagen zur ersten Versorgungshütte kommen, liegen dort keine neuen Vorräte bereit, sondern kiloweise Kokain. Mit Schrecken müssen die Teilnehmer feststellen, dass Ihr Führer Nick zu diesem Drogenring gehört und ihnen ab sofort nach dem Leben trachtet. Sie fliehen Hals über Kopf vom gemeinsamen Camp, hinein in eine unbekannte Wildnis. Bald merken die Trekker, dass sie nur überleben können, wenn sie zusammenhalten und gemeinsame Entscheidungen treffen, auch wenn sich in nicht alle mögen. Aber der kleinste Fehler kann tödlich für die ganze Gruppe sein.

Scheler erzählt eine unglaublich spannende Geschichte vom Überleben in der eiskalten Wildnis, von Gruppendynamik, Zusammenhalt, Schmerz und Durchhaltewillen. Grandiose Landschaftsbeschreibungen runden diesen Roman ab.

Nicole Marquis

 

 

Elke Heidenreich, Frau Dr. Moormann & ich, Hanser

Frau Dr. Moormann nervt… Die nachbarschaftlichen Beziehungen sind etwas angespannt, immer ist da etwas, das ihr nicht passt, der Hund bellt zu laut, der Gehweg ist nicht gefegt etc.

Elke Heidenreich beschreibt mit feinem Humor die alltäglichen Querelen, die Auseinandersetzungen mit ihrer Nachbarin, die Bemühungen um den Hausfrieden, bis zu dem Tag, an dem Frau Dr. Moormann an einer hartnäckigen Grippe erkrankt. Steckt vielleicht doch mehr Menschlichkeit, Humor und Verträglichkeit in der alten Frau, als bis anhin vermutet?

Eine herzerwärmende Geschichte, liebevoll illustriert von Michael Sowa

Nicole Marquis

 

 

 

 

Sarah Pearse, Das Sanatorium

Das neu eröffnete Hotel ‘Le Sommet’ in den Walliser Bergen war einst ein Sanatorium. Nicht alle waren mit dem Umbau einverstanden und bereits bei den Umbauarbeiten verschwindet der Bauleiter unter mysteriösen Umständen.

Als Detective Inspector Elin Warner zur Verlobungsfeier ihres Bruders in dieses Luxushotel anreist, beginnt der Alptraum: Isaacs Verlobte verschwindet, es geschieht ein Mord und Elin kämpft zudem mit alten Dämonen. Die ganze Situation eskaliert zusehends, als ein Teil der Belegschaft und der Hotelgäste nicht vor dem Schneesturm evakuiert werden können und somit mit einem Killer gefangen sind! Nur wer ist der Killer? Und wen trifft es als Nächstes?

Ein Spannungsroman in viele Richtungen. Jedes Mal, wenn sich der Leser der Täterschaft vermeintlich gewiss ist, kommt es doch wieder anders...

Simone Wiedmer

 

 

Martina Clavadetscher, Vor aller Augen

Berühmte Frauenportraits aus verschiedenen Jahrhunderten: Texte, (nicht) nur für Kunstliebhaberinnen und Kunstliebhaber.

Clavadetscher gibt jeder Frau eine Stimme und lässt sie aus ihrem Leben erzählen. Die dabei entstandenen Miniaturen lesen sich erfrischend und geben den Gemälden eine neue, vertiefte Ausstrahlung. Man siehrt die Bilder nach der Lektüre von Clavadetshers buch mit völlig anderen Augen! 

Nicole Marquis

 

 

 

Kristina Hauff, In blaukalter Tiefe

Zwei Paare und ein Skipper auf einem Segeltörn in den Schären. Die Dynamik unter den Reisenden ist nicht ausgewogen: Stefan, erfolgreicher Partner einer Anwaltskanzlei hat Eheprobleme mit seiner Frau Caroline, sein Protegé Daniel und seine Partnerin Tanja hatten von Anfang an keine Lust auf diese Ferien, konnten aber die Einladung nicht gut absagen. Und auch der Skipper Eric scheint irgendetwas vor seinen Kunden zu verbergen. Die Stimmung ist immer wieder gereizt und als sich das Wetter verschlechtert und die Yacht in einen Sturm gerät, ist die Katastrophe vorprogrammiert. Eine Ferienreise, die das Leben aller Beteiligten nachhaltig verändert.

Die Geschichte liest sich spannend wie ein Krimi und lässt einen von Anfang an nicht mehr los. Hauff versteht es meisterhaft, zwischenmenschliche Beziehungen auszuloten und die Leserinnen und Leser hautnah an den Erlebnissen auf hoher See teilhaben zu lassen.

Nicole Marquis

Erin Litteken, Denk ich an Kiew

 

Die junge Katja wächst zusammen mit ihrer Schwester auf dem Bauernhof der Eltern in der Ukraine auf. Es fehlt ihnen an nichts. Doch im Jahr 1929 kommen Stalins Männer in das beschauliche Dorf, um die Bauern zu überzeugen, ihren Besitz aufzugeben und in der Kolchose zu arbeiten. Zunächst lässt es sich auch außerhalb des Kollektivs noch gut leben, doch der Druck wird immer größer und schöne Stunden werden von schrecklichen Ereignissen überschattet, bis es schließlich nur noch ums nackte Überleben geht.

2004 zieht Cassie nach einem Schicksalsschlag widerwillig mit ihrer Tochter bei ihrer ukrainischen Großmutter ein, die immer mehr in die Vergangenheit abdriftet, Essen im Garten versteckt und ihre Enkelin Alina nennt. Doch wer ist das? Da die Großmutter keine Worte für die Ereignisse der Vergangenheit findet, soll Cassie ihr in Ukrainisch geschriebenes Tagebuch lesen. Ein freundlicher Nachbar dient als Übersetzer...

In dieser bewegenden Geschichte bin ich versunken. Bobbys Lebensgeschichte erschüttert zutiefst. Unter der Herrschaft Stalins verhungerten in der Ukraine Millionen Menschen, obwohl die Getreidespeicher voll waren. Die Autorin rückt diesen für mich unbekannten Aspekt der ukrainischen Geschichte einfühlsam und sehr bewegend in unser Bewusstsein.

Barbara Eugster